1999 / 04 - Wildpflanzen im Siedlungsbereich

Einleitung
Dörfer und Städte sind Lebensräume für eine Vielzahl spontan auftretender Wildpflanzen. An dieser Stelle werden darunter die uralten Siedlungsbegleiter des Menschen verstanden. Diese unbeabsichtigt wachsenden, aber grundsätzlich erhaltenswerten Pflanzen im menschlichen Siedlungsbereich auf Schutt- und Abfallstellen, um Mist, Müll und Komposthaufen oder auf Wegen, Plätzen, Bahndämmen und entlang von Zäunen werden auch als Ruderalpflanzen bezeichnet. In den letzten Jahrzehnten wurde der Lebensraum für diese Pflanzen erheblich eingeengt und vielerorts vollständig vernichtet. Im folgenden soll diese Situation näher dargestellt und auf Möglichkeiten ihrer Erhaltung eingegangen werden.

Ruderalpflanzen und ihre ökologischen Ansprüche
Die Wildpflanzen im menschlichen Siedlungsbereich lassen sich grob in fünf ökologische Gruppen einteilen:
  1. An stickstoffbeeinflußten Standorten, vor allem im Umkreis von Bauernhöfen, wachsen stickstoffliebende Pflanzen. Zu ihnen zählen z.B. Guter Heinrich (Chenopodium bonus-henricus), Herzgespann (Leonurus cardiaca) und Gänse-Malve (Malva neglecta).
  2. Auf Bahndämmen, Schuttplätzen oder In-dustriebrachen finden wir häufig Ruderalarten, die Wärme und Trockenheit bevorzugen. Typische Beispiele sind Natternkopf (Echium vulgare), Weißer Steinklee (Melilotus alba) und Eselsdistel (Onopordum acanthium).
  3. Auf betretenen, unbefestigten Wegen, aber auch in den Ritzen gepflasterter Wege und Straßen begegnen uns Trittpflanzen. Hier sind zu nennen: Niederliegender Krähenfuß (Coronopus squamatus), Großer Wegerich (Plantago major) und Vogelknöterich (Polygonum aviculare).
  4. In Siedlungsnähe befinden sich oft Gärten mit sehr gut gedüngten Böden, die häufig gehackt oder aufgelockert werden. In ihnen wachsen typische Gartenunkräuter, wie Garten-Wolfsmilch (Euphorbia peplus), Portulak (Portulaca oleracea) und Glänzender Ehrenpreis (Veronica polita).
  5. Mauern, die Wohnsiedlungen, Gärten oder Friedhöfe umgrenzen, wurden früher oft aus Natursteinen gebaut. Auf ihren Kronen oder in ihren Fugen siedeln sich gerne Mauerpflanzen an. Dort können z.B. kleine Farne, wie Mauerraute (Asplenium ruta-muraria), oder Schriftfarn (Ceterach officinarum) gefunden werden. Weitgehend unbekannt ist, daß Natursteinmauern auch Rückzugsplätze für eine Vielzahl in ihrer Existenz gefährdeter Moose sind.


Ursachen des Rückgangs der Siedlungsflora
1. Verstädterung
Die wichtigsten Ursachen des Rückgangs der Siedlungsflora können unter den Begriffen "Verstädterung" und "Verschönerung" zusammengefaßt werden. Die Einflüsse der Verstädterung spielen seit Beginn des nachkriegszeitlichen Wirtschaftsaufschwungs eine entscheidende Rolle. In der Folge wurden z.B. Straßendecken verkehrsgerecht ausgebaut und Bürgersteine mit Gehwegen befestigt. Das Vorbild der Gemeinden veranlaßte auch viele Privatpersonen zur Befestigung ihrer Höfe. Offene Stellen in alten Siedlungskernen wurden durch Rasen, Blumenrabatten und Ziergehölzbeete ersetzt und dadurch die alte, charakteristische Siedlungsflora weitgehend verdrängt.

2. Verschönerung
Einflüsse der Verschönerung wirken sich ebenfalls gravierend auf die Ruderalflora aus und sind eine wichtige Ursache für ihren Rückgang. Vor allem der Wettbewerb "Unser Dorf soll schöner werden" hat zwar ungewollt, aber nachdrücklich zum Rückgang der Siedlungsflora beigetragen. Schlagworte wie "Ordnung, Pflege, Sauberkeit" haben nicht bei Autoreifen, Blechdosen und Plastiktüten Schluß gemacht, sondern auch unaufgeräumte Ecken, alte Zäune und Baumruinen mit einbezogen. Das Bepflanzen "kahler" Mauern mit Rankenpflanzen wie Efeu haben manchen lichtliebenden Mauerfugenpflanzen oder Moosen den Lebensraum entzogen. Allerdings werden die Bewertungskriterien dieser Aktion heute stärker an ökologischen Belangen ausgerichtet.

3. Aufgabe der Tierhaltung
Auch die starken Veränderungen in der Tierhaltung haben einen wesentlichen Einfluß auf die Umwandlung von Wuchsorten der Siedlungsflora. Viele Landwirte haben die Viehhaltung aufgegeben, so daß viele Dörfer bereits viehlos sind. Damit entfällt der früher reichliche Nachschub an Nährstoffen organischer Herkunft, wodurch die typischen nährstoffliebenden Begleitarten bei uns fast ganz verschwunden sind.

4. Herbizideinsatz
Eine wichtige Gefährdungsursache für die Ruderalflora stellt ferner der Einsatz von Herbiziden auf Nicht-Kulturland dar. Noch bis vor wenigen Jahren wurden sie oftmals flächendeckend auf Verkehrsflächen, auf Gleis- und Bahnanlagen oder an Zäunen eingesetzt. Dadurch wurde ein großer Teil der spontanen dörflichen oder städtischen Ruderalflora vernichtet, auch dort, wo es nicht unbedingt erforderlich war. Heute ist ein derartiger Einsatz genehmigungspflichtig und dadurch stark zurückgegangen.

Pflege und Schutz der Ruderalflora
Den meisten Menschen erscheint Arten- und Biotopschutz in Dörfern und Städten absurd. Die jahrzehntelange Vorstellung "Unkraut" sei eine Schande im Ort, hat in der Bevölkerung tiefe Wurzeln geschlagen. Wenn es um den Erhalt der Pflanzen (und Tiere) im Siedlungsbereich des Menschen geht, sollen aber nicht Verhältnisse „von früher“ geschaffen werden, auch in einer Siedlung „von heute“ kann es noch genügend Raum für eine typische Pflanzen- und Tierwelt geben. Die wichtigsten Punkte zum Schutz von wildlebenden Pflanzen (und Tieren) im Siedlungsbereich seien abschließend aufgeführt:
  • Verzicht auf Flächenversiegelungen.
  • Einschränkung der gärtnerischen Gestaltung von Freiflächen.
  • Erhaltung alter Mauern und Berücksichtigung der natürlichen Pflanzen-und Tierwelt bei notwendigen Ausbesserungen.
  • Kleinflächige und zeitlich versetzte Ausbesserungen von Mauern.
  • Bei Neubau von Mauern Natursteine verwenden und auf überragende Abdeckplatten und Begrünung verzichten.
  • Erhaltung alter Friedhöfe und ihres dörflichen Charakters.
  • Verzicht auf übertriebene Säuberungsaktionen und das Ausbringen von Herbiziden.
  • Erhaltung, Wiederherstellung und Renaturierung von Teichen und Kleingewässern.
  • Gezielte Erhaltung und Förderung der Standorte typischer Ruderalpflanzen.

GrBl1999_04.pdf

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